14. Literaturpreiswettlesung in Villach (Österreich) vor Jury und Publikum.
„Die Nacht der schlechten Texte“ in Villach/Österreich bietet die Möglichkeit, sich als SchriftstellerIn nicht ganz so ernst zu nehmen. Der Kultstatus dieses Wettbewerbs zur Ermittlung des besten schlechten Text ist bekannt und ich bin ins Finale geladen worden.
Es soll eine Positionsverschiebung stattfinden.
„Den „schlechtesten“ Text zu verfassen, stellt für die AutorInnen eine ungewöhnliche Herausforderung dar:
Wie schreibt man bewusst „schlechte“ Texte? und
Was ist ein „schlechter“ Text? …“


In der Jury saßen:
Ilse Kilic
Carsten Schmidt
Fritz Widhalm
RESÜMEE
„Er war nicht der allerschlechteste Text, sagte die Jury. Er würde mit seinem „Schlechtsein“ ringen, wäre zu unterhaltsam, zu witzig, dabei tief ernst. Man hätte Schwierigkeiten, ihn abzukanzeln. Allerdings, die Gedichte wären so „grottig“, dass es Schlechtere kaum gibt und man eigentlich dafür schon einen Sonderpreis erdenken muss.
Da kann ich doch hochzufrieden sein. Knapp am Publikumspreis vorbeigeschrammt, fast einen Sonderpreis bekommen, schon mal absolut schlecht und wir alle hatten viel Spaß.
Hier nun zum Machwerk, selbstverständlich OHNE Absätze und viiiieel zu lang:
Eine Lanze für die Literatur der blauen Daumen
Schreibt einen schlechten Text! Bewusst! Ja Leute, was soll das sein? Wer entscheidet ob ein Text gut oder schlecht ist? Die Perspektivunsicherheit, der Adjektivüberschuss, Grammatikschwächen, falsche Bilder, Perspektiven, Wortwiederholungen, das Genre für die Literaten, die Lyrik mit viel Reim und wenig Substanz? Frau Wiesenkötter, meine Deutschlehrerin? Das Nichteinlassen, das Schönreden, Behaupten? Maßstäbe für vergammelte Texte findet man wo? Mein Gott, Frau Wiesenkötter, wann hatten sie denn die Idee? Tornadoaugenrollmegahashtag.
Gute schlechte Texte, die zu prämieren lohnen, ist das Masochismus?
Nun bitte mein Versuch: Ich stehe hier an der Literaturbushaltestelle der Ewigkeit, einem Vorort von Zeit und Raum, wurschtel in meinem Handy nach den Bedingungen eines schlechten Textes, finde nichts hilfreiches. Hinter dem Bushäuschen der Ewigkeit, das den Ort beginnen oder endet lässt, je nachdem aus welcher Richtung man kommt, wogte, jaja wogte (Preisgeld für den schlechtesten Text, da kann „wogte“ nur unterstützen) haargleich das reife Korn. (sicher ist sicher) Das Feld wogte gestern schon, aber da war ich noch mit einem weniger schlechten Text zu Gange und ließ das Feld unbeaufsichtig vor sich hin wogen. Diese Freiheit hat ihm gut getan, es sah ganz erfrischt aus und spannte zur Freude des Tages einen wolkenfreien Himmel über sich. So standen wir beide, das Bushäuschen und ich, unter dem freiheitlichen Blau. (Um mal mit hashtagschlechtesprechtext zu schlagfertigen: Meine Augen kamen über den haargleichen Strohhalmen zur Ruhe – damit steht man bei Amazon hoch im Kurs.) Das altersschwache Häuschen hatte eine neue und saubere Bank spendiert bekommen, die so einladend aussah, dass ich darauf Platz nahm und dachte:
Unbeobachtet wogte / das Feld wie Windrosenschleier / Wiegenliederduette / kornblau, mohnrot in lichtgoldnen Ähren verkünden / der Lerche Gesang / den Sommer. / Dein strohblondes Haar wehte / im Wind / ich hang und hang noch / immer / dir nach. / Mach ich weiter wird’s noch schlimmer / lass ich`s sein / auch mit dem Reim / doch nein / die Nacht bricht herein / der allerschlechteste Text / soll mein sein.
(Frau Wiesenkötter strahlte mich an.) Jeden Monat hält an der Dorfhaltestelle der Ewigkeit der Bibliotheksbus „Leselustig“. Die Wintermonate blieb er aus. Das sind dann harte Zeiten. Ich lagere ab Oktober Balzac, Sartre, die griechische Mythen, Hölderlin, Kleist, Kant, Kierkegaard und weiterer geistige Nahrungsmittel unter meinem Bett ein, wie Onkel Gerhard Kohlen und Kartoffeln in seinen Keller. Solange das Ungedachte anhält, lese ich und sonst spiele ich Backgommen mit Monika, meiner unverheirateten Schwester. Die Stille der dörflichen Einsamkeit, wie der stadtnahe Dichter sich das erträumt, ist im Winter ohne die fahrende Bibliothek für dörflich orientierte Kreative unerträglich. Im Sommer gibt es keinerlei Ruhe, entweder es krähen die Hähne im Morgengrauen oder die Kühe blöken, die Vögel schwatzen, die Kreissägen gieren sich durch das Holz, die Erntefahrzeuge rumpeln beladen durch die Nacht und scheinen in die Schlafzimmer. Es hämmert, bohrt, klopft, stöhnt, wettert, rülpst bis zum Einbruch der Dunkelheit, und dann leuchten die Bildschirme blau in die dunkelschwarze Nacht. Die Idylle in Öl hängt schief über dem Sofa von Tante Hilde. Alpenlandschaft mit Bach auf Lichtung. Sonnenstrahlgarantie in der Ewigkeit. Stolzer Hirsch lässt sich betrachten. Tante Hilde nippt am Likör. Gerhard hat sein Bier auf den Korkuntersetzer gestellt. Er lebe lang und in Frieden, der Hirsch. In der Ewigkeit leben und die Idylle in Öl tagtäglich vor Augen, haben mich abgehärtet. Ich bin bereit für die Wirklichkeit. Das werde ich ihr sagen, wenn sie mal anruft. Ragnar Helgi Olafsson seinerseits legte ja auf, als sie ihm am Telefon vorwarf, sie hätte genug „ … von den poetischen Eingriffen des Dichters in ihre Existenz. … “
Er mache sich doch „ … verdammt noch mal nicht zum Laufburschen der Wirklichkeit.“ Ich betrachtete den Hirschen und wartete auf das Ende. Godot ist auch nicht gekommen. Kafkaesk. Heute nun will ich mal nach Vorbildern für schlechte Texte Ausschau halten. Ich dachte da an Friederike Kempner:
„Kennst Du das Land
Wo die Lianen blüh’n
Und himmelhoch
Sich rankt des Urwalds Grün?
Wo Niagara aus dem Felsen bricht,
Und Sonnenglut den freien Scheitel sticht?“
Das war im 19. Jahrhundert schlecht, würde aber heutzutage in den oberen Rängen der Klickbetrüger mitspielen.
„Eine mir flüchtig bekannte Hand klopfte mir auf die Schulter“ so etwas gilt als gute Schreiberlingerei unter den Schreiberlingen. Dichterling, Engerling, Ehering, Widerling, Schmetterling, Dingeling, Leserinnenbling. In zwanzig Minuten werde ich mehr wissen. Der Bus wird vor mir stehen und die freundliche Frau Gerike, Freundin meiner Mutter, Schwester meiner Tante, Cousine von Hildegard Wagenscheuer und Frau des Bürgermeisters der Ewigkeit und das weiß nur ich – Geliebte von Hans Mehrbeil unserem Försters, schon seit Jahren, neue Bücher bringen. Sie ist die gebildetste Frau dieses Raum-Zeit-Kontinuum und meine Rettung vor dem Einfalttod.
„Poesie ist Leben
Prosa ist der Tod,
Engelein umschweben
Unser täglich Brot.“
Ich werde sehn, was sie außer der Kempner noch zu bieten hat. Normalerweise würde ich jetzt Rosalinde Gerike beschreiben, wie sie riecht, lacht, wie groß-alt-klug sie ist, Haarfarbe, Augenfarbe, Beilänge, Zahnweiße, Brustgröße, Kleiderstil, lange innere Monologe, damit sie vor uns erscheinen kann, aber dann würde der Leser sie fühlen, dann wäre sie ein wahrhaftige authentische Figur, eine Frau zu der man eine Beziehung aufbaut, die geliebt, gehasst, beneidet wird, begehrt. Die man in seinen Träumen, modisch leicht verändert, neben sich auf den Liegestuhl legt, an dem kastanienbraunen Locken riecht und ihr den Mojito reicht. Ich würde unweigerlich erzählen müssen, dass ich schon immer SAGENHAFT verschossen in Rosalines geistige Kompetenzen war. Das wäre dann aber schlecht, für einen schlechten Text. Sie wäre eine Person, wäre geboren, würde leben, nein, nein. Aus der Ferne hupt es. Ich werde aus meinen Gedanken geschleudert, katapultiert, gerissen, ich weiß nicht was noch alles.
An der einzigen Fußgängerampel der Ewigkeit steht Rosalines Bus und blinkt mir zu. Ich winke heiter zurück und sehe zu Oma Berta. Oma Berta schiebt jetzt ihren Rollator über die Streifen, so langsam als GÄBE ES KEIN MORGEN. Sie hat den ganzen Vormittag gewartet, an den Streifen der Entschleunigung, um im geeigneten Moment dem Bus vor die Räder zu treten. Auf einer staubigen Dorfstraße der Ewigkeit im Hochsommer, wo jeder Hund schon gegen zehn morgens im Schatten hinter der Scheune den Tag abwartet, steht Oma Berta am Zebrastreifen und lässt sich die Sonnenglut auf den Scheitel stechen, um mal Friederike zu zitieren, nur um sichtbar zu sein. Nur um den Andern, also uns dem Rest der Familie, zu zeigen, wie wenig wir uns um sie kümmern, wie verlassen sie ist, dieser Huzelzwerg, diese Natter.
(Im Normalfall würde ich Punkte machen, Absätze, Einschübe, schon alleine der Lesbarkeit wegen, statt endlose Kommatas und luftdicht verschweißte Satzenden. Aber nicht bei einem schlechten Text. Ich schäme mich.)
Mit Trippelschrittchen beginnt sie ihre Vorstellung. Es wird eine halbe Stunde dauern bis die menschenleere Straße überquert werden konnte, mehrmals gibt es den Anschein, Berta bräche entkräftet zusammen. Aber sie bricht nie zusammen, nie, niemals, weder heute noch überhaupt, Berta lebt ewig. Während sie die Straße überquert, läuft Benno in sicher Entfernung die Grundstückszäune ab und setzt seine Duftmarken in regelmäßigen Abschnitte, auch über das Ortseingangschild hinaus. Wedelt mit der Rute, Tiere haben ganz andere Reviergrößen als Menschen:
Oft enden
unsere an Schildern
und Regeln die wir einbetonieren
bei Regen und Wind
die sich bewähren in Krieg und Verlust
die sich erneuern
bei jeglichem Frust uns sind Gesetze
das Salz in der Suppe
Schneeschieben beim Nachbarn ist
in diesem Dorf
schnuppe.
Ich, Benjamin Rosenbaum, verliere mich oft in Tagträumen, dichte und denke und verpasse am Ende mein Leben. Deshalb diesmal aufgepasst, die Literatur rollt gleich an, denn Berta ist von der Straße und Rosaline tritt aufs Gas. Staub wirbelt, Reifen drehen durch, von null auf hundert in Nullkommanix. Gleich ist sie bei uns. Das Bushäuschen freut sich schon und ich lasse es nicht allein mit seinem Glück. Mit einem ausatmenden Seufzer hält meine Literaturbuswelt vor mir und die Tür öffnet sich wie durch Geisterhand. Vorher drückte Rosaline Gerike den Knopf und die Geisterhand gehorcht ihr, wie alle ihr gehorchen. „Hallo Benjamin, komm rein mach´s dir gemütlich. Was suchst du heute?“, ihre Stimme – eine Schande, dass ich sie nicht beschreiben darf. Schlechte Texte sollte verboten werden! Sie nimmt die Wasserflasche und trinkt mit zurückgeworfenem Kopf Schluck um Schluck. Ich beobachte das kleine Rinnsal, das an ihrem Hals entlang läuft und sich seinen Weg in ihren Ausschnitt bahnt, ihre gepunktete Bluse langsam durchnässt. Ihre inneren Werte werden sichtbar. „Schlechte Texte, Vorbilder für schlechte Texte, ich mache bei einem Wettbewerb mit, Frau Gerike, wer den besten schlechten Text geschrieben hat, verstehen Sie, … “ dabei starre ich die dunklen Wasserflecken an, die sich auf Rosalines gepunkteter Bluse gebildet haben, „ … gewinnt!“ Ihre Brüste sind außergewöhnlich straff, wie Äpfel in einer eigens für sie geschaffenen Schale aus schwarzer Spitze. Ich bin nur ein einfacher weißer Mann und kann den Blick nicht abwenden. Ausgeschlossen. Ich besteige die Stufen des Literaturbusses (Genitiv – bewusst, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.), meinen ersehnen Olymp, wohl wissend, dass hier nur geistige Präsenz gefordert wird, aber bei diesem Angebot. WAS KANN ICH DAFÜR, SELBST SCHULD.
„Benjamin, was machst du dann mit dem Preis?“, fragt mich Rosaline und beugt sich zu mir. Nur ihre Chanelwölkchen schweben noch zwischen uns. Was mach ich mit dem Preis, tänzelt die Frage zwischen mir und dem Duft. Ein Preis der Kategorie „Himbeere“, denke ich und betrachte ihre Äpfel. Wie arbeite ich den in meine Bibliografie ein, sinniere ich weiter. Ihre Augen so sanft wie ein Bourbon, wie vermarkte ich ihn, den Gewinn, einen Wimpernschlag von ihrer Wange entfernt, dass ich ihn links trage ist jetzt kein Geheimnis mehr …
„Oh jetzt sind sieben Minuten um. Sieben Seiten geschrieben, sieben Zwerge versorgt, sieben Fragen gestellt. Abgeben, Benjamin, hörst du“, klatscht sie in die Hände, „Eure Frau Wiesenkötter möchte in die Pause!“ „… Als ‚Cece‘ mir wieder in den Schoß fällt ist die Chemie magnetisch. Ich will sie fühlen, sie schmecken und es mit ihr so besorgen, wie sie es nich nie träumen lassen hatte. … „, lese ich beim Banknachbarn. Nichtübelhashtag.
ENDE
Hinweise zu den im Text zitierten Lyriker*innen:
Ragnar Helgi Olafsson aus „Denen zum Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können“ ausgezeichneter isländischer Regiesseur und Lyriker.
Friederike Kempner der „schlesische Schwan„ unfreiwillige Komik in der Lyrik, darüber hinaus eine emanzipierte, sozial engagierte Frau des 19. Jahrhunderts. Die mit ihrer Streitschrift für Einrichtung der Leichenhäuser, die Verlängerung der Karenzzeit einsetzte um der Angst vor dem Scheintod entgegenzuwirken. Weiterhin setzte sie sich für eine Gesetztesänderung gegen die Einzelhaft ein.
Jana Franke, verbriefte „allergrottigste, schlechteste Gedichteschreiberin des Wettbewerbs“ so Ilse Kilic, eine Jurorin zu „Die Nacht der schlechten Texte“. Laut Kilic, hätte ihr ein Sonderpreis dafür zugestanden, zumal es selten Gedichte in den Wettbewerb schaffen.