Auszug aus der autofiktionalen Erzählung
1
Charlotte lernte ich in einem Hausflur kennen. Jeden Montag rannten wir auf der Straße um unser Leben. Heute, am 6. Oktober ´89 am Dresdner Hauptbahnhof war ich nicht schnell genug, wurde grob am Arm gepackt und auf einen LKW gehievt. Ich sah Charlotte aus den Augenwinkeln in einen Hausflur verschwinden.
Die zugige Pritsche, auf der ich jetzt saß, war voller Menschen, die schweigend auf ihre Schuhe starrten. Keine Ahnung was jetzt passieren würde. Angst konnte ich mir nicht leisten, dafür war die Situation zu gefährlich. Charlotte würde jede Dienststelle nach mir absuchen. Sie würde mich finden.
Wir fuhren am Altmarkt vorbei, hinter zur Schießgasse und hielten am Liefereingang des Polizeipräsidiums. Mit seinen armdicken Sandsteinblöcken würde das Gebäude jeden Laut verschlingen. Die vier Soldaten vom Hänger befahlen uns eine schmale Treppe hinunter. Wir wurden in Reihe aufgefädelt, Gesicht zur Wand, notbeleuchtet in das muffige Kellergewölbe gestellt. Keiner wusste weiter, so schien es. Wir nicht, die da oben nicht und die jungen Burschen in Uniform erst recht nicht. In deren Augen nistete die Angst. Angst, dass ihr gesunder Menschenverstand siegen würde, sie Befehle verweigerten und damit selbst im nächsten Augenblick mit dem Gesicht zur Wand stünden.
Nur nicht die Nerven verlieren. Wenn Perestroika mit Gorbatschow weiterging, hatte die Straße ein Chance zu verändern. Sicher war ich nicht.
Niemand schlug. Niemand kam um uns zu verhören. Nur die jungen Kerle von der Pritsche mit Kalaschnikow im Anschlag, verdrückt in die hintersten Ecken des gekalkten Kellergewölbes und ihre Angst.
Eine Frau weinte leise.
2
Morgen, gesetzt den Fall ich käme hier wieder raus, morgen zum Geburtstag der Republik, würde ich in Beethovens Fidelio zur Premiere singen. Von Hoffnung würde ich singen, hinter doppelreihigem Maschendrahtzaun, durch die deutsch-deutsche Grenzbefestigung in den Zuschauerraum. …
…
…
3
PUBLIKATIONEN.

mit Lesereise und Blogbeiträgen in Kooperation mit dem Literaturrat Brandenburg
PRESSE
Lauter Lichtblicke
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WENDEZEITEN
2017 ist die gesamte Ursprungsfassung von „Wendezeiten“ zu den 6. Berner Bücherwochen im Geestverlag erschienen. Herausgegeben von Reinhard Rakow
