Zwischen Tür und Angel

In „Zwischen Tür und Angel“ trägt eine Sechsjährige, einem sterbenden Misanthropen die Freundschaft an. Der will aber nicht. Das stört die Kleine wenig, denn sie schaut in sein Herz, das einsam ist und Angst hat, egal was er sagt. Freundschaft in sieben Akten.

Eins

Durch den Kastanienbaum vor meinem Fenster scheint die Abendsonne. Die grünen stacheligen Schalen, die die Früchte schützen, liegen wild im Gras verteilt. Aufgeplatzt durch den Aufprall. Das Innere der dicken Hülle ist ganz weich und hell. Ihr dumpfes Poltern weist auf das Ende des Sommers. Über meine linke Schulter rollt eine Kolone Eisenschweine Richtung Arm und in der Brust gräbt ein Feuerdrache seine Krallen in mein Herz. Atme. Weiter. Atme. Hoch oben ziehen Schwalben in Formationen über den Himmel. Stürzen sich in das Blau. Die Schreie der Mauersegler sind längst verstummt. Weit entfernt höre ich eine Sirene. Laut und drängend. Ich muss Martin anrufen. Rote Streifen ziehen über den Himmel und die Sonne verschwindet vor meinen Augen.

Zwei

Er ist immer so mürrisch, seit dem er in unser Haus gezogen ist, in diese riesige Wohnung der Belle Etage. Er sagt, bei ihm riecht es moderich. Er sagt, diese Wohnung wäre dunkel und eng. Wie können 160 Quadratmeter eng sein für einen kleinen Mann. Deckenhöhe 4,20m. Aufschneider. Vor seinem Wohnzimmer und der angrenzenden Bibliothek steht die Riesenkastanie. Die beschattet ordentlich. Wir wohnen über ihm in der zweiten Etage und sehen über die Krone hinweg. Danach kommt das Dach und da wohnt niemand mehr. Er will zeigen wo er herkommt, dieser Lübecker Fabrikantenschnösel mit seiner Villa am Meer und seinem Geld ich-weis-nicht-wo-alles. Alter Marzipanadel. Wir treffen uns manchmal im Treppenhaus. Mürrisch und wortkarg. Dauernd negativ. Nein und aber und muffig und eng. Das sind die Gespräche. Meine Kinder allerdings mögen den Neuen. Besonders meine sechsjährige Martha.
„Hallo“ lärmen sie ihn an, wenn wir uns im Treppenhaus gegenüberstehen.
„Hallo, wo willst du hin? Kommst du mit spielen? Wo ist deine Frau?“
„Tot“, sagt er dann. Unbeeindruckt informiert Martha ihn:
„Meine Oma auch und Morle liegt im Garten beim Apfelbaum. Kennst du Morle?“
„Nein.“
„Wo liegt denn deine Frau?“
„In Lübeck.“
„Ist das weit weg?“ Martha gibt sich interessiert. „Wolltest du nicht mehr allein dort bleiben?“
„Ja und jetzt muss ich gehen.“
„Wohin, zu deiner Frau?“
„Nein, zum Fleischer.“

Er lüftete seinen Hut zum Gruß und bahnt sich den Weg durch die Kinderschar. „Tschüüüüssssiiii bis morgen“, schreien sie ihm nach.

„Seine Frau ist tot Mama“, belehrt mich meine Tochter lauthals, so als ob ich nicht zugehört hätte, als ob ich gerade erst neben ihr aus dem Nichts aufgetaucht wäre. „Deshalb ist er immer so böse, das musst du verstehen, er hat hier noch keine Freunde.“

Ich stehe auf dem Absatz der zweiten Etage und schaue auf die Webmuster des roten Sisals im Treppenhaus, höre seine Schritte auf den Fliesen im Erdgeschoss klicken, dann schlägt die Haustür geschäftig ins Schloss. Ich fühle mich völlig nackt. Bloßgestellt von der Wahrheit aus dem Munde meiner Sechsjährigen. …“


Aus Tschüssikowski 2017 im Brighton Verlag veröffentlicht

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