Wiepersdorfer Notate

Art and Poetry at Schloss Wiepersdorf: A Creative Journey

2024 writer_in_residence
Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf

(Artikel)

Jana Franke janafrankepotsdam.com

GALERIE Kunstflügel c/o GEDOK Brandenburg & Publikation

Jede Verszeile dieses Gedichtes ist der Beginn weiterer Gedichte, Miniaturen, Notate. Fragmentarisch, dem Augenblick verpflichtet, inspiriert von Begegnungen und dem Arbeitsprozess der anderen Stipendiat:innen.

ankommen, einen Schreibort finden, wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können. Im Eichenwald vor mir gurren Holztauben. Hier nährt der Regen den Sommer. Schwalben schwirren unters Dach. Ich werde tiefschlafensmüde.

Die Wasserlinien verschließen den Zugang zum Alltäglichen, rauschen mich ins Zwischenmeer. Der Kuckuck dreht dabei das Stundenglas so oft im Kreis, bis ich verschwunden bin.
Warmer Holzboden unter meinen nackten Füßen schwingt bei jedem Schritt. Meine Füße erinnern sich. Ich könnte tanzen, wenn mein Körper es erlaubt, Jeté Jeté. Ein Sprung dazu und ich breche durch den Boden zum Paar mit Kind.

vergangenheit ist nur ein prolog, rede ich freundlich auf mich ein und schiele auf das frischgemachte Bett.
Darf ich schlafen als Ausgezeichnete? So kurz nach dem Ankommen die Zeit verschlafen?
Muss ich nicht jede Sekunde Kunst schaffen an diesem Ort?

Links im Regen steht das Schloss.
Später suche ich dort nach meinem Schreibort. Ohne das Projekt Kant, Immanuel. Der bleibt im Zimmer!
Er würde die Existenz weiblicher Denkfähigkeiten grundsätzlich in Frage stellen und die Aufklärung dahingehend behindern.
Bettine im Schloss würde sich auflehnen. Sarah Kirsch ihn zum Teufel jagen und die Wolf hängt ihm Kassandra in die Kleider.
Es gäbe keine ruhige Minute für mich. Getrennte Orte entspannen den Konflikt.

Ich setzte mich probeweise auf die Bettkante. Hypnos streift meine Wange, die zeit aus den fugen, rauscht der Regen. Tiefschlafensmüde Kunst schaffen. Kunstschaffende dem Ort verbunden.
Ich beschließe, erst zum Abendessen die Arnims im Schloss zu besuchen, und
schlafe sofort ein.

Ich werde gleich verwiesen, verhaftet, zu einer Geldstrafe verdonnert.
Wo gibt’s denn sowas!
Eine Unbekannte zieht den Stecker der Stehlampe, schließt ihren PC an und setzt sich auf Bettines Chaiselongue, direktemang auf die geschwungene Zeit.

Das Spinett äußert sich nicht dazu.
Im Kanapee am Klavier wölbt eine Spirale aus dem Holzrahmen. Ein Tribut an die Spannkraft.
Hunderte Jahre besessen sein, erweicht doch jedes Stahlgeflecht.

Das Klavier grinst breit. Es hat die Oberlippe hochgeklappt. Ich sehe alle Tastenzähne liniengetreu vor mir. Ich habe noch nie ein Klavier derart ungeniert grinsen sehen.
Fast schon frech, von der Art frech, wie sich Bettine über die Vulpius im Frauenplan äußerte. „Die Blutwurst“, da war die Beziehung zum Geheimrat passé.

Barfuß stehe ich auf dem Holzparkett und niemand holt die Polizei.

Im Treppenaufgang wanderte eine Summdenkende durch die Flure.
Ihre Holzschuhe dokumentierten jeden Schritt.
Zimmertür für Zimmertür.
Hinter jeder saß ein Kreativer an seiner Arbeit.
Nachdem alle Flure durchschritten waren,
verdichtete sich das Summdenken vor dem Salon.
Ich war neugierig, wer da erscheinen würde.
Die Klinke bewegte sich und die Tür öffnete.

Eine kugelrunde Frau mit kurzem Haar summte in die Stille.
Sie steuerte, ohne sich umzuschauen, den barocken Kachelofen an.
In ihrer Hand eine schmale Holzbank,
die, wie eine übergroße Handtasche durch die Luft schwenkte.
In meiner Arbeit unterbrochen, betrachtete ich die ungewöhnliche Szenerie.
Vielleicht sucht die Kugelrunde einen Bräutigam für ihre Holzbank?
Beide weiß. Sie aus Holz, er aus Stein. Er barock, sie schlicht.
„Ich würde dich verbrennen“, raunt der Ofen, „wenn du mal einschläfst.“
Ich wusste: Der Ofen war mit dem Spinett liiert.
Die Holzbanktasche blieb mitten im Schwung über dem Kopf der Kugelrunden stecken.
Der Versuch der Frau sie abzustellen misslang mehrfach.
Die Bank weigert sich und blieb in der Luft.
Kühl stand der Ofen in der Zimmerecke und sagte kein Wort mehr.
Im Spinett knisterten die Saiten disharmonisch. Das war der Handtaschenbank Zeichen genug. Mit einem kräftigen Ruck zog sie ihre Besitzerin aus der geöffneten Tür ins sichere Treppenhaus.

wirbelten zwei unabhängige
ins haus
trafen den sommer
für den nebelfreund im herbst

wir lasen
musizierten im historischen
nur für die beiden
sie kamen aus berlin
und sollten nicht leer ausgehn

dem neugeschaffenen eine bühne
durch cellowogen das unfertige
heraustanzen
auf landsand wilde gärten
für fremde singen
im atelier vom enkel
jeté jeté sprung
relevé drehung

ein abenteuersonntag
und die gesetze der schwerkraft
passé

taumelnde hüllen aus feinstem bütten
erinnern an die berührung abwesender

ihre losen körper wiegt das abendlicht zu
absichtslosen liebschaften, die

auf honigparkett unterm dach der musik
um ihre bestimmung tändeln.

die ernte üppig unterm flügel versammelt, bildet sich
im sommerwehn eine

murmelnde abendgesellschaft, die unzüchtiges in
die weißen kleider raschelt.

mars und venus atmen durch die luftwirbel der
vorbeieilenden. bewegungen, die

auf steinernem sockel im garten niemals zustande
kämen: sie lieben sich.

frei von mythologischen verpflichtungen
in der abgeschiedenheit.

frei von aufgezwungener linientreue.
aus der steinernen auseinandersetzung mit

den jahreszeiten entlassen, die ihnen flechten, moose, käfer, krähen, tauben,
frösche und bei landregen auch karpfen aus dem teich zum gespräch zuweisen.

ihnen schreiben die gezeiten die himmelsrichtungen auf den leib.

für einen schwalbenflug lang war die murmelnde abendgesellschaft mit dieser
standfestigkeit verbunden. die kerben von blütenweiß überdeckt.

bis ihre finger zwischen steinhaut und feinweb einen raum finden,
sie dem knistern des abschieds folgt

und das neue sich löst

wie im film hier, sagt sie.
versorgt wie kinder, füge ich an.
sie zieht an ihrer zigarette,
ich trinke einen schluck kaffee,

genießen,
mehr wird nicht verlangt.

das auto gepackt,
die taube gurrt,
der kuckuck schweigt

worte fallen
zwischen die bilder,
du wirst schon sehen.

Fotos:
sonntagsbesuch – Elli Graetz , Karin Gralki, Regine Daniels-Stoll
sie trägt häute mit ist haus, die unterm flügel trocknen – Astrid Weichelt
Eröffnungslesung – Günther Weidmann